Wenn die Worte fehlen – der gezielte Einsatz nonverbaler Kommunikation
Kennen Sie das auch? Sie kommen morgens zum Dienst und es geht Ihnen nicht besonders gut. Aber nicht Ihre Kollegin, sondern eine Ihrer demenzerkrankten Pflegekundinnen spricht Sie an und sagt: „Sie sehen aber heute irgendwie traurig aus. Geht es Ihnen nicht gut?“ Menschen mit einer Demenz haben ein feines Gespür für Stimmungen und eine gesteigerte Sensibilität für emotionale Signale. Sie nehmen ihre Umwelt nicht wie die meisten anderen Menschen hauptsächlich über die Kognition, sondern über die Emotionen wahr.
Körpersprache kompensiert nachlassende Sprechfähigkeit
Auch wenn wir versuchen, uns unsere Gefühle nicht anmerken zu lassen - die Körpersprache lügt nicht. In der beschriebenen Situation hat Ihre Pflegekundin vermutlich aktiv Ihre Körpersprache interpretiert.
Das Verständnis von Gesichtsausdrücken geht auch bei einer Demenz nicht verloren. Ein Lächeln wird bis ins fortgeschrittene Stadium positiv als Freude oder Sympathie gedeutet, Tränen zeigen Traurigkeit und gerunzelte Augenbrauen Ärger oder Ablehnung. Unsere Mimik und Gestik verraten uns. Gefühle verstecken klappt deshalb nicht - besonders nicht gegenüber Menschen mit einer Demenz.
Deshalb ist es besonders wichtig, im Kontakt und der Betreuung echt und authentisch zu sein. Ein aufgesetztes Lächeln oder unterdrückte Hektik werden durchschaut, Widersprüche zwischen der Körpersprache und dem Gesagten verwirren und verunsichern.
Die Bedeutung der Spiegelneuronen
Die Linguistin und Gesprächsforscherin Svenja Sachweh befasst sich seit mehr als 15 Jahren mit der Verständigung und Kommunikation mit Menschen mit einer Demenz. In unterschiedlichen Publikationen nutzt sie beispielsweise die Erkenntnisse der Spiegelneuronenforschung und stellt deren Bedeutung für die Betreuung von Menschen mit einer Demenz dar.
Vermutlich kennen Sie die Wirkung der Spiegelneuronen aus eigener Erfahrung. Haben Sie schon einmal gesehen, wie sich jemand in den Finger geschnitten hat und Sie selbst konnten den Schmerz quasi spüren? Oder eine traurige Filmszene hat Sie zu Tränen gerührt? Auch das sogenannte Fremdschämen, das einen überkommt, wenn man Menschen in peinlichen Situationen im Alltag oder Fernsehen sieht, gehört hierzu.
In allen Fällen haben Ihre Spiegelneuronen die Gefühle der anderen Menschen gespiegelt, sodass Sie sich in diese hineinversetzen konnten. Diese Fähigkeit ermöglicht uns etwa zu erkennen, ob uns jemand wohlgesonnen ist oder ob eine Gefahr von ihm ausgeht.
Bei Menschen mit einer Demenz funktionieren diese Mechanismen noch gut. Im Unterschied zu anderen Menschen tendieren sie, je weiter die Krankheit fortschreitet, immer mehr dazu, die Stimmungen und Handlungen ihres Gegenübers aktiv zu imitieren. D. h., sie werden von den Stimmungen der anderen quasi angesteckt.
Das passiert, wenn z. B. einer Ihrer Pflegekunden im Tagesraum anfängt zu rufen und zu schreien: Diese Unruhe erfasst sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch die anderen Patienten. Genauso überträgt sich die eigene Hektik und die Absicht, eine Tätigkeit schneller auszuführen, schlägt ins Gegenteil um.
So wird herausforderndes Verhalten ausgelöst
Sie werden Aussagen wie „Frau Müller war heute wieder so aggressiv“ aus Ihrer Praxis kennen. Häufig wird von Pflege- und Betreuungskräften sogenanntes herausforderndes Verhalten der Pflegekunden wahrgenommen, es wird aber leider selten nach der Ursache gesucht.
In den meisten Fällen liegt diese nicht beim Betroffenen selbst, sondern in den Umgebungsfaktoren, und stellt häufig nur eine Reaktion auf diese und auf das Verhalten und die Kommunikationsweise der Mitarbeiter dar.
In der folgenden Übersicht finden Sie 6 Faktoren, die Stressreaktionen und herausforderndes Verhalten bei Ihren Pflegekunden auslösen und wie Sie diesen aktiv entgegenwirken.
Zu viele und zu laute Geräusche verunsichern. Im Alltag von Pflegeeinrichtungen laufen teils permanent Fernseher oder Radios. Zusätzlich klappert der Essenswagen, der Schwesternruf piepst oder das Telefon klingelt. Auch laute Gespräche von Mitarbeitern oder Rufen über den Flur gehören hierzu. Diese Geräusche bedeuten für Menschen mit einer Demenz eine Reizüberflutung. In der Regel sind die Betroffenen nicht mehr in der Lage, den Raum selbst zu verlassen oder die Geräte leiser zu stellen. Diese Überstimulierung fordert Konflikte und Unruhe geradezu heraus.
Geräuschkulisse Zu viele und zu laute Geräusche verunsichern. Im Alltag von Pflegeeinrichtungen laufen teils permanent Fernseher oder Radios. Zusätzlich klappert der Essenswagen, der Schwesternruf piepst oder das Telefon klingelt. Auch laute Gespräche von Mitarbeitern oder Rufen über den Flur gehören hierzu. Diese Geräusche bedeuten für Menschen mit einer Demenz eine Reizüberflutung. In der Regel sind die Betroffenen nicht mehr in der Lage, den Raum selbst zu verlassen oder die Geräte leiser zu stellen. Diese Überstimulierung fordert Konflikte und Unruhe geradezu heraus. Sorgen Sie für eine möglichst ruhige Umgebung, besonders bei den Mahlzeiten. Stellen Sie Radio und Fernsehen nur gezielt und zeitlich begrenzt an. Dauerreize überfordern. Vermeiden Sie Rufen durch den Raum oder über den Flur.
Menschen mit einer Demenz haben eine stark verminderte Handlungs- und Reaktionsfähigkeit. Sie benötigen länger, um Gesagtes zu verstehen. Wenn Handlungen seitens der Mitarbeiter, z. B. schnelles Anreichen von Speisen, durchgeführt werden, bevor der Betreffende verstanden hat, was als Nächstes geschieht, führt dies verständlicherweise zu Gegenwehr, da dies als körperlicher Angriff erlebt wird.
Menschen mit einer Demenz haben eine stark verminderte Handlungs- und Reaktionsfähigkeit. Sie benötigen länger, um Gesagtes zu verstehen. Wenn Handlungen seitens der Mitarbeiter, z. B. schnelles Anreichen von Speisen, durchgeführt werden, bevor der Betreffende verstanden hat, was als Nächstes geschieht, führt dies verständlicherweise zu Gegenwehr, da dies als körperlicher Angriff erlebt wird. Passen Sie Ihr Tempo individuell dem Pflegekunden an: Je weiter die Demenz fortgeschritten ist, desto langsamer und geduldiger handeln Sie.
Lassen Sie sich Zeit, nehmen Sie Blickkontakt auf und bewegen Sie sich nicht hektisch.
Schnelles Arbeiten führt nicht zu schnellem „Fertig werden“ - das Gegenteil trifft zu!
Nicht jeder Ihrer demenzerkrankten Pflegekunden ist schwerhörig. Zu laute und zu hohe Töne und Stimmen verunsichern eher. Besonders schrille, laute Töne klingen häufig wütend und aggressiv. So werden sie von Ihren Pflegekunden dann auch wahrgenommen und lösen möglicherweise ebenfalls Gegenwehr aus. Besonders der gut gemeinte bemutternde Tonfall in einer Art „Babysprache“, in den manche Kollegen verfallen, hat so nicht die gewünschte Wirkung.
Sprechen Sie nicht generell lauter, sondern lieber langsamer, deutlicher und in einfachen Sätzen
Besonders in Konfliktsituationen sollten Sie vermeiden, lauter zu werden.
Ihre demenzerkrankten Pflegekunden achten besonders auf Ihren Gesichtsausdruck. Viele Menschen ziehen z. B. bei hoher Konzentration die Stirn in Falten oder nehmen bei der Arbeit wenig Blickkontakt zu den Betreffenden auf. Dies kann als Ärger und Abweisung gedeutet werden und die konzentrierte Mimik wird als böse wahrgenommen. Dementsprechend kann auch die Reaktion darauf ausfallen.
Achten Sie darauf, häufig Blickkontakt zu Ihren Pflegekunden herzustellen und bei starker Konzentration immer mal wieder einen prüfenden Blick in den Spiegel zu werfen.
Ein Lächeln wirkt meist Wunder und verbessert die Kommunikation und Beziehung.
Ihre Pflegekunden haben oft schon aufgrund gesundheitlicher und altersbedingter Veränderungen ein erheblich eingeschränktes Gesichtsfeld. Hinzu kommen Hör- und Sehbehinderungen und demenzielle Veränderungen. Ein abruptes Anfassen von hinten oder Verschieben des Stuhles ohne vorherige Ankündigung oder Blickkontakt verunsichert und macht möglicherweise Angst.
Achten Sie darauf, möglichst von vorn an die Person heranzutreten und Blickkontakt aufzunehmen. Machen Sie ein freundliches Gesicht und kündigen Sie an, was Sie vorhaben, z. B. den Stuhl zurecht zu schieben, damit der Betreffende bequemer essen kann.
Häufig bedenken wir bei körpernahen Tätigkeiten nicht die angemessene Distanz. Allzu oft setzen sich Pflegende und Betreuende ungefragt auf das Bett, den letzten Schutzraum und die Privatsphäre des Pflegekunden, streichen seine Kleidung glatt oder fassen ihn ungefragt z. B. im Gesicht an.
All dies sind Übergriffe in die Intimsphäre und lösen sehr häufig Ab- und Gegenwehr aus.
Fragen Sie Ihren Pflegekunden, ob Sie sich auf sein Bett setzen dürfen, wenn er kein Einverständnis mehr signalisieren kann, unterlassen Sie dies. Nesteln Sie nicht ungefragt an der Kleidung und ziehen z. B. Blusen und Pullis nach unten oder wischen Krümel weg. Sie verletzen damit das Selbstwertgefühl des Betroffenen und demütigen ihn. Berührungen im Gesicht sind etwas sehr Intimes und werden in der Regel nur vom Lebenspartner oder den Eltern positiv entgegen genommen. Gut gemeintes Tätscheln im Gesicht ist bei keinem anderen erwachsenen Menschen angebracht. Drücken Sie, wenn Sie spüren, dass Körperkontakt erwünscht ist, lieber liebevoll die Hand oder streichen Sie über den Arm. Beobachten Sie in jedem Fall die nonverbalen Reaktionen Ihrer Pflegekunden ganz genau.
Kommunizieren Sie bewusst
Durch bindungsstärkende Gesten wie Zuwinken, Anlächeln, Augenzwinkern oder Kopfnicken beeinflussen Sie die nonverbale Kommunikation mit Ihren demenziell erkrankten Pflegekunden gezielt positiv. Diese Gesten werden seit frühester Kindheit erkannt und richtig gedeutet. Wie vorangehend beschrieben, helfen die Spiegelneuronen uns bei diesem Verständnis.
In der folgenden Übersicht finden Sie noch einmal die wichtigsten Grundsätze der nonverbalen Kommunikation auf einen Blick.
Achten Sie in Ihrer Arbeit darauf, ob Sie diese Grundsätze bereits beherzigen. Stellen Sie auch Ihren Kollegen die Übersicht zur eigenen Überprüfung zur Verfügung - es schadet ja nie, sich regelmäßig bewusst mit der eigene Kommunikationsweise auseinander zu setzen.